Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

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connam
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Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Das ist ein Thema, das mir am Herzen liegt, weil ich lange nach einem Weg gesucht habe, mehr mit mir im Reinen zu sein. Ich hatte nämlich (vor allem als Teenager) oft das Gefühl, von einem anderen Planeten zu stammen und mich unter hohem Energieeinsatz anpassen zu müssen. Und ich kann mir vorstellen, dass es dem ein oder anderen von Euch ähnlich ging.

Es war ermüdend, mich immer wieder rechtfertigen zu müssen, warum ich mich zierte, zu dieser Party zu gehen, auf der ich so gut wie keinen kannte. Oder warum ich früher aus der Kneipe wegwollte, in der es so laut war, dass man sich nur brüllend unterhalten konnte. Oder warum die Mitarbeitsnote auf meinen Zeugnissen immer zu wünschen übrig ließ, obwohl meine sonstigen Leistungen überdurchschnittlich waren. Oder auch warum ich lieber 20 Minuten im Supermarkt herumirrte, als einfach einen Mitarbeiter zu fragen, wo denn bitteschön der Senf zu finden ist.

Der Tenor meiner frühen tagebuchlichen Eintragungen war denn auch: was läuft hier falsch? Wieso fühle ich mich so zerrissen und unzufrieden?
Mit zunehmendem Alter verlor der Gruppenzwang dann zwar an Bedeutung, was das Leben leichter machte. Außerdem war ich immer gut darin, mich einzufügen. Aber es kostete mich eine Menge Kraft, von daher war es weiterhin offensichtlich, dass irgendetwas nicht rund lief.
Aber was? Und warum?

Einigen von Euch ist der Grund sicher längst klar, aber bei mir dauerte es noch ein paar weitere Jahre, bis ich begriff, warum ich so anders ticke als die Mehrzahl der Menschen.
Warum ich zum Beispiel keinen Smalltalk mag, sondern lieber tiefgründige Gespräche führe (und das bei über 80 Dezibel nun mal schlecht geht).
Und warum ich mich in der Schule nur dann gemeldet habe, wenn ich ganz sicher war, dass ich wirklich etwas beizutragen hatte (was oft hieß, dass ich sicher sein wollte, dass die Antwort stimmte).
Und dass es sogar für mein Unwohlsein, das ich empfinde, wenn ich mit fremden Menschen interagieren muss, eine wissenschaftliche Erklärung gibt: ich bin introvertiert.

Es wäre zwar schön gewesen, wenn mir dieses Licht früher aufgegangen wäre. Aber wie sich im Laufe dieses Threads noch zeigen wird, kommt auch das nicht von ungefähr.

Introvertiert vs. extravertiert
Viele Leute glauben, die Begriffe Introversion und Extraversion beschreiben, wie man sich im sozialen Umfeld bewegt. Tatsächlich geht es aber in erster Linie darum, woher man seine Energie bezieht. Und daraus ergibt sich dann zwangsläufig, auf welche Art und Weise man mit anderen Menschen - und vor allem größeren Gruppen von ihnen - interagiert.

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Ich will hier keine Stereotypen heraufbeschwören. Natürlich gehen Introvertierte auch gern mal aus. Und natürlich verbringen extravertierte Menschen auch gern mal einen Abend auf dem Sofa. Wir alle sind Individuen, und bei jedem ist die Intro-/Extraversion unterschiedlich ausgeprägt. Aber es gibt ein Grundprinzip: Extravertierte tanken auf, indem sie rausgehen und etwas mit anderen Menschen unternehmen. Sie brauchen Reize von außen, um sich wohl zu fühlen und ihre Batterien aufzuladen. Allein zu Hause zu sein ist für die meisten langweilig.
Bei Introvertierten ist es genau umgekehrt: viele und starke Reize (z.B. laute Musik, viele Menschen, ständig wechselndes Licht, usw.) laugen sie aus. Ich für meinen Teil kann förmlich spüren, wie die Energie aus mir herauströpfelt, wenn ich irgendwo bin, wo ich eigentlich nicht sein möchte, und wo mir alles zu viel ist. Manchmal leert sich mein Akku innerhalb von Minuten, je nachdem, wie der Ladestand vorher war. Der Gedanke an einen ruhigen Abend in meiner Wohnung ist für mich der Himmel auf Erden, denn ich hole mir meine Energie von innen. Und das geht nur mit Zeit. Und mit Ruhe.

Soviel zum grundlegenden Unterschied. Aber das Thema hat natürlich noch viel mehr zu bieten.

Und bevor es mit dem nächsten Post weitergeht, kurz ein paar Worte zur Schreibweise der beiden Begriffe: Sie stammen aus dem Lateinischen und sind eine Kombination aus vertere = kehren/wenden/drehen und den Vorsilben intro = hinein/nach innen/innerlich bzw. extra = außen/ außerhalb. Daraus ergeben sich Introversion und Extraversion. Die orthographische Variante Extroversion ist eine simple Angleichung an Introversion, um auf die enge Verbindung der beiden Begriffe hinzuweisen.
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connam
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Da ich das Rad nicht neu erfinden will und es – gerade in den letzten Jahren – eine Menge guter Seiten im Internet gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen, habe ich im Folgenden ein paar Infos zusammengestellt. Sofern ich mich bei anderen bedient habe, ist die jeweilige Quellenangabe natürlich dabei.

Die Historie:

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Die unten genannten Informationen und auch das Schaubild stammen größtenteils von https://riskology.co/what-is-an-introvert/

Carl Jung und Hans Eysenck
Die Begriffe Intro-/Extraversion gibt es noch gar nicht so lange. Der Schweizer Psychologe Carl Jung verwendete sie 1921 zum ersten Mal, als er die Eigenschaften von Individuen und deren Interaktion mit der Welt untersuchte. Er glaubte, dass Persönlichkeit auf individuellen Präferenzen u.a. in folgenden Kategorien beruht:
• In welcher Welt bewegt man sich lieber (innen oder außen)?
• Wie verarbeitet man Informationen?
• Wie trifft man Entscheidungen?
Introversion ist seiner Auffassung nach eine natürliche Tendenz, die eigene Energie auf seine innere Welt zu konzentrieren. Damit würden Introvertierte dazu neigen, viel Zeit mit Nachdenken und anderen einsamen Aktivitäten zu verbringen, denn das sei es, was sie antreibt. Jungs Theorie wurde später zur Grundlage vieler Persönlichkeitstests, die man heute online findet.

Bei Hans Eysenck sind Extra- und Introversion zwei entgegengesetzte Enden einer Skala, die von hoch (extravertiert) bis niedrig (introvertiert) reicht. Menschen mit einem hohen Maß an Extraversion sind seiner Meinung nach kommunikativer, geselliger, stehen gern im Mittelpunkt und haben oft viele Freunde. Menschen mit einem geringen Maß an Extraversion sind ruhiger, haben weniger Freunde, nehmen nicht gern an größeren Veranstaltungen teil und fühlen sich im Umgang mit Fremden nicht besonders wohl. Der Grund dafür sei, dass Introvertierte durch ihre Umgebung überreizt und Extravertierte unterreizt werden. Deshalb seien Introvertierte in einer geschäftigen Umgebung leichter überfordert, während Extravertierte sich in einer ruhigen Umgebung langweilen.

Isabel Myers
Auf der Basis von Jungs Theorie entwickelte Isabel Myers zusammen mit ihrer Mutter den Myers-Briggs Typen-Indikator (MBTI), einen Persönlichkeitstest, der heute von mehr als 2 Mio Menschen jährlich genutzt wird. Auf diesen Test komme ich später noch zurück.

Susan Cain und andere
Der MBTI hat die Theorie der Intro-/Extraversion zwar einer breiteren Masse zugänglich gemacht, dadurch aber auch unabsichtlich dazu beigetragen, dass der Begriff "introvertiert" lange Zeit mit schüchtern und/oder unsozial gleichgesetzt wurde. Natürlich trifft beides nicht zu, aber die negative Konnotation war schwer wieder loszuwerden. Lehnt man häufig Einladungen ab oder geht auffallend selten zu sozialen Events, wird man schnell als unhöflich, gleichgültig oder arrogant abgestempelt. Schlimmstenfalls als "socially awkward", also sozial inkompetent.
Susan Cain und andere Autoren haben in den letzten Jahren versucht, dieses Bild geradezurücken. Mittlerweile gibt es unzählige Bücher zum Thema, die meisten davon allerdings im englischsprachigen Raum.
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Whitby Cat
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Whitby Cat »

Danke für das Eröffnen dieses Threads, connam.

Hast Du Dich schon einmal mit Hochbegabung beschäftigt?
All die "Symptome", die Du beschreibst, sind nämlich auch oft
ein Anzeichen für Hochbegabung: Das "Sich-wie-ein-Alien"-Fühlen,
das Empfinden daß Small Talk eher anstrengt als entspannt,
daß man sich in seiner eigenen Gesellschaft wohler fühlt als
unter (den falschen) Mitmenschen usw.

Jedem, der so oder ähnlich empfindet, empfehle ich
das Buch "Jenseits der Norm - hochbegabt und hochsensibel?"
von Andrea Brackmann.
Be yourself; everyone else is already taken. (Oscar Wilde)

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Mr.Picard
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Mr.Picard »

Danke für diesen Thread, connam! Ich bin auch ein "Introvert", und ich hab auch immer wieder darunter leiden müssen dass ich halt nicht wie andere war, die sich immer in den Vordergrund drängten. Ich werde heute noch gerne und ständig übersehen, aber im Gegensatz zu damals ist mir das mittlerweile meistens ganz recht. Ich irre auch immernoch erstmal ne Weile vor allem durch den DM (wie finden Leute in diesem Laden etwas??? WIE??? Keine logische Aufteilung, nichts!) bevor ich dann irgendwann mal frage, wo jetzt denn das Teil ist, was ich suche. Und wehe der Supermarkt räumt um. Das stresst mich so sehr dass ich erstmal ne Pause brauche - alles ist woanders, nichts mehr so wie es sein soll, und ich soll jetzt alles einfach wiederfinden? :shock: Ich erinnere mich wie meine Mutter mir mal was Gutes tun wollte und meine Tassensammlung spülte und wieder in meinen Schrank räumte - nur räumte sie alles durcheinander ein und meine ganze Tassen-Ordnung war dahin. Ich hab alles gebraucht um nicht zu schreien. Aber da konnte ich wenigstens sagen dass ich das nicht mag. Im Supermarkt kann ich das schlecht machen. lol

Den MBTI Test kenne ich btw auch, ich kriege jedesmal dasselbe Resultat: INTJ. Und ich kenne auch dass man denkt ich sei unhöflich nur weil ich wenig sage. Und dass ich Pausen brauche. Schullandheim war für mich immer der Horror, man war mit mehreren Leuten auf einem Zimmer und nie allein, und ich habe mich immer erstmal irgendwo eingesperrt (von mir aus auf dem Klo), nur damit ich mal ne Stunde allein sein konnte. Ich halte es heute überhaupt nicht mehr aus, längere Zeit unter Menschen zu sein (was mir aber absolut gar nichts ausmacht, ich hasse dieses gesellschaftliche Vorurteil von "alle Menschen die nicht mit anderen Menschen interagieren wollen sind einsam und leiden darunter"). Bei Tieren habe ich btw überhaupt keine Probleme. Man könnte mich stundenlang mitten in eine Gruppe Meerschweinchen setzen und ich würde mich nicht vom Fleck bewegen und wäre völlig verzückt. Aber Menschen? Die einen ansprechen? AAAAH NEIIIIN.

Ich habs nicht so schwer wenn ich mit einer einzigen Person sprechen muss, das geht gerade noch, wenn auch nur für einen gewissen Zeitraum. Aber sobald es mehrere Menschen sind erhöht sich mein Stresslevel so sehr dass ich nach kurzer Zeit nur noch daran denke wie ich wieder wegkomme.
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connam
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Die Wissenschaft
Ja, es gibt ihn, den wissenschaftlichen Beweis, dass extravertierte und introvertierte Menschen unterschiedlich ticken. Es gibt tatsächlich physische Unterschiede zwischen dem Gehirn und dem Nervensystem von Introvertierten und Extravertierten, die erklären, woher die jeweiligen Vorlieben kommen.

Beispiel: Dopamin ist ein Neurotransmitter, den man auch als Glückshormon bezeichnet, weil es als Teil des Belohnungssystems des Gehirns fungiert. Dopamin wirkt antriebssteigernd und motivierend und wird für viele lebensnotwendigen Steuerungs- und Regelungsvorgängen benötigt. Außerdem steht es im Zusammenhang mit Suchterkrankungen sowie der Entstehung von Psychosen und anderen neurologischen Störungen. Jeder hat ungefähr die gleiche Menge an Dopamin in sich, aber nicht jeder reagiert darauf gleich.

Introvertierte sind sehr empfänglich für Dopamin, benötigen also wenig davon, um stimuliert zu sein. Während extravertierte Menschen über äußere Reize ihre Dopaminproduktion ankurbeln müssen, um überhaupt stimuliert zu sein, genügt bei introvertierten bereits ein niedriger Dopaminspiegel. Zuviel davon erschöpft sie. Das ist der Grund, warum Introvertierte sich in den sozialen Situationen unwohl fühlen, in denen Extravertierte auftanken. Als äußerer Reiz gelten in diesem Fall auch fremde Gesichter. Bei Introvertierten zeigte der Mandelkern beim Betrachten von Porträts unbekannter Menschen eine höhere Aktivität als bei Extravertierten, wobei der Mandelkern eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Steuerung von Emotionen wie Angst einnimmt. (Stangl, 2019*).

Beispiel: Es ist bewiesen, dass die Blutzirkulation in den Gehirnen introvertierter Personen komplexer ist und ihre Hirne auch in Entspannungsphasen aktiver sind. Im Umkehrschluss heißt das auch: Sobald neue Reize von außen dazu kommen, sind Introvertierte schneller überstimuliert.
Deshalb verbrauchen sie bei entsprechender Stimulanz mehr Energie, sind schneller erschöpft und benötigen länger, alle Informationen zu verarbeiten, was sich sozial oft in Zurückgezogenheit und Schweigsamkeit äußert. (Stangl, 2019*).

Beispiel: Auch die Informationsverarbeitungswege bei Introvertierten sind wesentlich komplexer und daher länger, die Denkarbeit an sich ist daher einfach anstrengender, was einer der Gründe ist, dass Introvertierte oft mit den eigenen Gedanken beschäftigt sind und dadurch geistig abwesend erscheinen.
Es dauert zunächst einmal recht lange, aufs Langzeitgedächtnis zuzugreifen und zudem das Chaos aus Eindrücken, die sehr intensiv verarbeitet werden, Erwartungen und Millionen verschiedenen Gedanken zu einem sinnvollen Ergebnis zu kombinieren und noch länger, daraus eine Aussage zu formulieren, die dieses halbwegs adäquat wiedergibt, wenn auch zumeist in stark gekürzter Form, verglichen mit dem, was einem introvertierten Kopf vorgeht. Daher ist die Reihenfolge erst nachdenken und dann reden kein Zufall.
Bei Extravertierten ist dieser Prozess wesentlich abgekürzt. Es wird für die Informationsverarbeitung das Kurzzeitgedächtnis angesteuert. Sie werden vom Dopamin gesteuert und daher begeisterungsfähiger und müssen anders als Introvertierte nicht erst auf sämtlichen Ebenen überzeugt werden, bevor sie sich auf etwas einlassen. Quelle

*Verwendete Literatur
Stangl, W. (2019). Stichwort: 'Introvertiertheit – Introversion'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1924/introver ... roversion/ (2019-07-30)
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ShowFreak
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von ShowFreak »

Spannendes Thema! Im Prinzip zähle ich mich auch zu den introvertierten Menschen, da ich auch ein sehr ruhiges und in mich gekehrtes Naturell habe. Aber trotzdem bin ich gespalten. Ich möchte Aufmerksamkeit, ich möchte beachtet werden - im Sinne von etwas Künstlerischen. Mir fällt es zum Beispiel gar nicht schwer, auf eine Bühne zu gehen und die Leute zu unterhalten, mit was auch immer. Ich möchte das dann, ich möchte dann die Person sein, die im Mittelpunkt steht, die beachtet wird, der zugejubelt wird. Das ist quasi der Bühnenmensch in mir. Aber Vorsicht, dieser Mensch ist nicht echt! Ich spiele dann eine Rolle und brauche dabei die Bestätigung.

Aber fern ab von dem, bin ich auch introvertiert. Ich genieße die Ruhe, die ich daheim habe, um dort meinen Interessen und Gedanken nachzugehen. Das heißt, im Privaten bin auch eher unsichtbar und falle nicht auf. Das ist aber auch völlig in Ordnung so. Ich würde ne Krise bekommen, wenn mich im Privaten noch Hans und Franz anschnacken würden, weil ich auffalle. Und ich letzter Zeit ist es ja, durch meine sehr angeschlagene Psyche, soweit, dass ich Menschen nahezu völlig meide. Ich schaffe es ja nicht mal mehr, mich mit Menschen zu umgeben, ohne dass es für mich zum Kraftakt wird. Das war echt schon ziemlich anstrengend, als ich an zwei Abenden hintereinanderweg mit meinem Bruder ausgegangen bin. Ich war total erledigt.

Daher sehe ich mich auch bei der introvertierten Seite. Auch diverse Typentests ergaben es immer wieder bei mir, dass ich introvertiert bin, sodass ich dann sagen kann, ich kann diesen Ergebnissen durchaus trauen. Aber ich fühle mich mittlerweile wohl mit meiner charakterlichen Eigenheit und habe es für mich so angenommen. Sodass ich zum Beispiel beim Einkaufen keine Krise bekomme, wenn der Supermarkt seine komplette Ware umsortiert hat. Ich sage mir dann immer nur: okay, das wird ein Spaß, Entdeckungsreise im Supermarkt...
Who cares if one more light goes out? Well I do...

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connam
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

ShowFreak hat geschrieben:
5. August 2019, 18:28
Spannendes Thema! Im Prinzip zähle ich mich auch zu den introvertierten Menschen, da ich auch ein sehr ruhiges und in mich gekehrtes Naturell habe. Aber trotzdem bin ich gespalten. Ich möchte Aufmerksamkeit, ich möchte beachtet werden - im Sinne von etwas Künstlerischen. Mir fällt es zum Beispiel gar nicht schwer, auf eine Bühne zu gehen und die Leute zu unterhalten, mit was auch immer. Ich möchte das dann, ich möchte dann die Person sein, die im Mittelpunkt steht, die beachtet wird, der zugejubelt wird. Das ist quasi der Bühnenmensch in mir. Aber Vorsicht, dieser Mensch ist nicht echt! Ich spiele dann eine Rolle und brauche dabei die Bestätigung.
Ich finde es nicht ungewöhnlich, dass Du beide Seiten in Dir vereinst. Ich glaube, um etwas Kreatives zu erschaffen braucht es Hingabe und Tiefe, und das geht nun mal besser, wenn man sich - zumindest vorübergehend - in sich selbst zurückzieht. Gleichzeitig braucht die Kreativität aber auch Publikum, sonst wäre sie in gewisser Hinsicht sinnlos.

In "Kreativität: wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden" von Mihaly Csikszentmihalyi steht: Kreative Personen vereinen offenbar gegensätzliche Tendenzen auf dem Spektrum zwischen Extraversion und Introversion. Die meisten Menschen sind entweder das eine oder das andere, stehen entweder am liebsten im Mittelpunkt oder ziehen es vor, das Geschehen als Zaungast zu verfolgen. Tatsächlich gelten in der modernen psychologischen Forschung Extraversion und Introversion als die stabilsten individuellen Unterscheidungsmerkmale, die zuverlässig gemessen werden können. Im Gegensatz dazu bringen kreative Menschen offenbar beide Eigenschaften gleichzeitig zum Ausdruck.

:D :D :D
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connam
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Mr.Picard hat geschrieben:
31. Juli 2019, 06:47

Den MBTI Test kenne ich btw auch, ich kriege jedesmal dasselbe Resultat: INTJ. Und ich kenne auch dass man denkt ich sei unhöflich nur weil ich wenig sage. Und dass ich Pausen brauche. Schullandheim war für mich immer der Horror, man war mit mehreren Leuten auf einem Zimmer und nie allein, und ich habe mich immer erstmal irgendwo eingesperrt (von mir aus auf dem Klo), nur damit ich mal ne Stunde allein sein konnte. Ich halte es heute überhaupt nicht mehr aus, längere Zeit unter Menschen zu sein (was mir aber absolut gar nichts ausmacht, ich hasse dieses gesellschaftliche Vorurteil von "alle Menschen die nicht mit anderen Menschen interagieren wollen sind einsam und leiden darunter"). Bei Tieren habe ich btw überhaupt keine Probleme. Man könnte mich stundenlang mitten in eine Gruppe Meerschweinchen setzen und ich würde mich nicht vom Fleck bewegen und wäre völlig verzückt. Aber Menschen? Die einen ansprechen? AAAAH NEIIIIN.

Ich habs nicht so schwer wenn ich mit einer einzigen Person sprechen muss, das geht gerade noch, wenn auch nur für einen gewissen Zeitraum. Aber sobald es mehrere Menschen sind erhöht sich mein Stresslevel so sehr dass ich nach kurzer Zeit nur noch daran denke wie ich wieder wegkomme.
Ich finde, es gibt Dinge, die mit zunehmendem Alter besser werden. Der Gruppenzwang hört auf, man kennt sich selbst und auch die eigenen Grenzen besser, und man hat eher die Möglichkeit, den Alltag individuell zu gestalten (okay, in gewissen Grenzen).
Allerdings lässt auch die Kraft nach, und die Toleranzschwelle wird niedriger. Was ich vor 20 Jahren noch tolerieren konnte, geht heute zum Teil gar nicht mehr. Wie zum Beispiel oberflächliches Gelaber, oder rücksichtslose Leute.
Ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, in einem Schlafsaal mit mehreren Menschen zu übernachten. Das war während Schulausflügen schon anstrengend, aber heute geht das bei mir gar nicht mehr. Doppel- oder Dreibettzimmer bei einer Convention mit Menschen, die ich noch nicht mal kenne, sind für mich nicht machbar. Der Stress der Convention selbst ist ja schon hart genug, da brauche ich zwischendurch und vor allem nachts meine Ruhe. Deshalb versuche ich auch immer, ein Zimmer so weit wie möglich von der Partyzone entfernt zu bekommen, damit ich nicht unfreiwillig in der ersten Reihe sitze. Das ähnelt ziemlich dem, was Du beschreibst, Mr. Picard. Und wir sind ganz sicher nicht die einzigen, die so empfinden. Auch wenn Introvertierte nur 20 – 25% der Bevölkerung ausmachen, ist das doch jeder 4te bis 5te.

Ich gehe auch schon lange nicht mehr mit der ganzen Gruppe in die Kantine, sondern nur noch mit maximal drei KollegInnen, mit denen ich mich super verstehe und auch persönliche Gespräche führen kann. Wenn Besucher da sind, schließe ich mich zum Abendessen nur an, wenn ich in der Stimmung bin.
Private Termine plane ich möglichst so, dass ich Verschnaufpausen dazwischen habe. Wenn ich ein paar Tage wegfahre, versuche ich immer, mindestens noch einen Tag nur für mich in meinen eigenen vier Wänden dranzuhängen, weil ich weiß, dass ich den brauchen werde. Das ist der berühmte „Introvert-Hangover“. Dazu aber mehr in einem anderen Post :D :D :D .

Ich bin übrigens ein INFJ.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

ShowFreak hat geschrieben:
5. August 2019, 18:28

Aber fern ab von dem, bin ich auch introvertiert. Ich genieße die Ruhe, die ich daheim habe, um dort meinen Interessen und Gedanken nachzugehen. Das heißt, im Privaten bin auch eher unsichtbar und falle nicht auf. Das ist aber auch völlig in Ordnung so. Ich würde ne Krise bekommen, wenn mich im Privaten noch Hans und Franz anschnacken würden, weil ich auffalle. Und ich letzter Zeit ist es ja, durch meine sehr angeschlagene Psyche, soweit, dass ich Menschen nahezu völlig meide. Ich schaffe es ja nicht mal mehr, mich mit Menschen zu umgeben, ohne dass es für mich zum Kraftakt wird. Das war echt schon ziemlich anstrengend, als ich an zwei Abenden hintereinanderweg mit meinem Bruder ausgegangen bin. Ich war total erledigt.
Ich verbringe liebend gern Wochenenden allein, ohne jemanden zu sehen und zu hören, außer vielleicht - gezwungenermaßen - die Kassiererin im Supermarkt. Auch ich fühle mich dabei überhaupt nicht einsam, da geht's mir wie Mr. Picard. Im Gegenteil, mein Kopf ist so voller Ideen und Gedanken, dass ich diese Alleinzeit wirklich brauche, um nicht krank zu werden. Ich hab‘ das irgendwann häppchenweise auch so an meine Umgebung kommuniziert, und siehe da: mittlerweile haben’s alle kapiert. Und sie nehmen es mir nicht mehr übel, wenn ich absage oder früher gehe. Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass es einigen genauso geht, und die waren sogar dankbar, dass das Thema mal zur Sprache kam.
Ich hasse es übrigens auch, zu telefonieren. Ich arbeite im Büro, und früher hab‘ ich mich mit all den Anrufen gequält, die ich entgegennehmen musste. Heutzutage läuft fast alles über e-mail. Ein Segen für mich, weil ich mich (wie viele andere Introvertierte auch) schriftlich deutlich besser artikulieren kann als mündlich. Wobei ich auch im direkten Gespräch eloquent sein kann, wenn ich entspannt bin und mir das Thema auch noch am Herzen liegt bzw. ich etwas davon verstehe. Dann kann ich den Leuten damit ein Ohr abkauen.
Überhaupt bin ich froh, im Zeitalter des Internets zu leben. Wenn man sich online mal umsieht, findet man Introvertierte überall. Es gibt unzählige Gruppen auf Facebook und Accounts bei Twitter, die sich mit dem Thema beschäftigen, und ich muss echt oft lachen, wenn ich deren Posts sehe. Ich find' mich da dermaßen wieder, vor allem bei Dingen, von denen ich früher dachte, dass sie mich "awkward" machen; ich liebe es.

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;) ;) ;)
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Mr.Picard
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Mr.Picard »

connam hat geschrieben:
6. August 2019, 22:29
Ich hasse es übrigens auch, zu telefonieren. Ich arbeite im Büro, und früher hab‘ ich mich mit all den Anrufen gequält, die ich entgegennehmen musste. Heutzutage läuft fast alles über e-mail. Ein Segen für mich, weil ich mich (wie viele andere Introvertierte auch) schriftlich deutlich besser artikulieren kann als mündlich. Wobei ich auch im direkten Gespräch eloquent sein kann, wenn ich entspannt bin und mir das Thema auch noch am Herzen liegt bzw. ich etwas davon verstehe. Dann kann ich den Leuten damit ein Ohr abkauen.
Überhaupt bin ich froh, im Zeitalter des Internets zu leben.
Ja hier! Ich auch! Telefonieren ist eines der "alltäglichen" Dinge, die ich am meisten und immer und überhaupt HASSE. Wenn ich wo anrufen soll, laufe ich erstmal ne halbe Stunde konfus im Kreis herum und überlege, was ich sage. Und muss Mut zusammennehmen um überhaupt mal zu wählen. Und wenn dann keiner drangeht war alles für die Katz und man hat das Nerven-Theater nochmal. :sad2: Oder, der größte Feind, Anrufbeantworter. Da lege ich SOFORT AUF. Neiiiiin. :sad2: Und wenn das Telefon klingelt gehe ich in 99% der Fälle auch nicht dran, das ist so plötzlich und spontan, das packe ich nicht, da was zu sagen, ich muss vorbereitet sein. (Ich rufe dann halt nachdem ich mich gesammelt habe zurück.) Im Büro auch nicht. Das kann klingeln so viel es will. NEIN. (Wir haben ein Telefon für alle, da können alle dran, da muss ich das nicht sein.) :sad2:

Ich bin sowieso ein kleiner (Fanfic)Schreiberling, ich schreibe gerne, auch E-Mails. Bin ich total begeistert wenn ich das machen kann anstatt anrufen zu müssen. Und ich rede auch gerne virtuell mit den Leuten. Da kann ich vorher in Ruhe überlegen was ich tippe und muss nicht spontan sprechend antworten. Ich rede im realen Leben sowieso eigentlich nicht so gerne, es sei denn es geht um Sir Patrick - da höre ich nicht so schnell auf. lol Bei mir ist es halt in real life Gesprächen oft so dass ich gar nicht weiß was ich sagen soll, ich bin nicht so wie die meisten Menschen und ich kann bei vielen Themen (Kinder, Familie, Partner) überhaupt nicht mitreden.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

[/quote]
Mr.Picard hat geschrieben:
9. August 2019, 10:29

Ja hier! Ich auch! Telefonieren ist eines der "alltäglichen" Dinge, die ich am meisten und immer und überhaupt HASSE. Wenn ich wo anrufen soll, laufe ich erstmal ne halbe Stunde konfus im Kreis herum und überlege, was ich sage. Und muss Mut zusammennehmen um überhaupt mal zu wählen. Und wenn dann keiner drangeht war alles für die Katz und man hat das Nerven-Theater nochmal. :sad2: Oder, der größte Feind, Anrufbeantworter. Da lege ich SOFORT AUF. Neiiiiin. :sad2: Und wenn das Telefon klingelt gehe ich in 99% der Fälle auch nicht dran, das ist so plötzlich und spontan, das packe ich nicht, da was zu sagen, ich muss vorbereitet sein. (Ich rufe dann halt nachdem ich mich gesammelt habe zurück.) Im Büro auch nicht. Das kann klingeln so viel es will. NEIN. (Wir haben ein Telefon für alle, da können alle dran, da muss ich das nicht sein.) :sad2:

Ich bin sowieso ein kleiner (Fanfic)Schreiberling, ich schreibe gerne, auch E-Mails. Bin ich total begeistert wenn ich das machen kann anstatt anrufen zu müssen. Und ich rede auch gerne virtuell mit den Leuten. Da kann ich vorher in Ruhe überlegen was ich tippe und muss nicht spontan sprechend antworten. Ich rede im realen Leben sowieso eigentlich nicht so gerne, es sei denn es geht um Sir Patrick - da höre ich nicht so schnell auf. lol Bei mir ist es halt in real life Gesprächen oft so dass ich gar nicht weiß was ich sagen soll, ich bin nicht so wie die meisten Menschen und ich kann bei vielen Themen (Kinder, Familie, Partner) überhaupt nicht mitreden.
Du sprichst mir aus der Seele. Und nicht nur mir: https://introvertdear.com/news/introver ... nderstand/

"4. Anrufen statt Texten
Ja, manchmal ist das Telefon der schnellste oder einfachste Weg, um mit jemandem zu kommunizieren. Und es hat ja auch etwas Beruhigendes, die Stimme eines geliebten Menschen zu hören, besonders wenn man einen schlechten Tag hatte.

Aber für viele Introvertierte sind Telefonate reine Folter.

Es erfordert nicht nur Smalltalk (und das auch noch ohne die wichtige visuelle Unterstützung), sondern ein Telefonat ist auch extrem "aufdringlich". Wenn jemand aus heiterem Himmel anruft, hat man keine Zeit, sich mental vorzubereiten. Und für Introvertierte ist diese mentale Vorbereitungszeit entscheidend. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit geht unser Gehirn in den Introspektivmodus, einem Zustand, in dem wir uns tief in unserer Innenwelt verlieren. Es bedarf einer gezielten Anstrengung, um den Modus zu wechseln und auf gesellig zu schalten.

Ein Text hingegen wartet höflich auf eine Antwort und erlaubt es uns, mit anderen auf eine Weise zu interagieren, die für uns schnell überreizte Introvertierte leichter zu handhaben ist. Außerdem neigen Introvertierte dazu, sich wohler zu fühlen, wenn sie ihre Gedanken schriftlich ausdrücken können, als wenn sie sie laut aussprechen müssen, aufgrund der Art und Weise, wie unser Gehirn verdrahtet ist."


Wie man sieht, ist also überhaupt nichts Seltsames daran, lieber zu schreiben als zu telefonieren.

Und es gibt noch mehr Gründe, Telefonate nicht zu mögen. Zum Beispiel die Pausen, die entstehen, wenn Introvertierte sehr lange brauchen, um zu antworten. Oder die Tatsache, dass andere zuhören, wenn jemand anruft und man gerade unter Menschen ist (was an sich ja schon anstrengend ist). Über dieses Thema gibt es Unmengen von Artikeln im Netz.

https://www.andymort.com/phone-reluctant-introvert/
https://louderminds.com/hate-phone-introvert/
https://www.psychologytoday.com/us/blog ... y-we-won-t
und, und, und …..
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Mr.Picard »

^

Oh Mann das kann ich gar nicht alles zitieren so sehr wie ich das "relatable" finde...! Meine erste Frage ist immer "kann ich eine E-Mail schreiben". Lieber dauert alles doppelt so lang als dass ich auch nur für eine Minute telefonieren muss. Und ich verstehe Leute auch nicht die in der Bahn lautstark ihre intimsten Details herumtelefonieren. Es hören alle Leute zu? Stört die das nicht?

Und ja, ich kann schicke Texte schreiben und mich eloquent ausdrücken aber wenn ich dann was sagen muss kommt nur "umm, erm, umm". :violent1: Bei mir kommt noch hinzu dass mein Deutsch mittlerweile sehr eingerostet ist und ich einfach nach vielen Ausdrücken suchen muss, und ich finde sie meistens nicht mehr. Das macht es noch anstrengender. Ich würde wirklich lieber auf Englisch kommunizieren, da fallen mir wenigstens alle Worte ein wenn ich denn schon unbedingt was sagen muss.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Azur »

Ich bin zumindest zum Teil introvertiert, denke ich.

Den MBTI-Test habe ich vor Jahren mal gemacht. Ich galt als "Architekt" und konnte mich in dem Text, der dazu stand, wieder erkennen.

Für mich ist es ein Gräuel, mich einfach "so" wo reinzustürzen. Ich muss einfach planen. Ich kriege keinen Heulkrampf, wenn ein Baustein umfällt. Aber es nervt mich dann eben den ganzen Tag.

Ich merke das auch beim Kofferpacken: mein Kerl hat seinen Rasierer und die Zahnbürste. Ich: das halbe Schlafzimmer und mindestens 1/4 vom Bad. Für alle Eventualitäten gerüstet, auch wenn man nur über das WE wegfährt.

Und ich bin ein Perfektionist, gerade was meine Arbeit in der Kanzlei angeht. Gedankenloses Abschreiben von Diktaten gibt es nicht bei mir. Meine Kollegen denken sich schon mal: macht keinen Sinn, egal, er hat es diktiert und fertig. Ich sehe regelrecht durch die Schriftsätze durch, sagt mein Chef.

Und ich hasse Lässigkeit. Nichts ist schlimmer, als wenn meine Mutter einen ihrer "komme ich heute nicht-komm ich morgen-übermorgen-bin-ich-da" Tage hat. Das macht mich wahnsinnig.

Und obwohl ich schon gerne mehr Kontakt zu anderen Menschen hätte, wenn ich in Bars oder Cafes bin mit vielen Menschen, dann habe ich das Gefühl zu platzen.

Die Ausnahme ist z.B. auf der FedCon, weil viele dort mit mir "auf einer Wellenlänge" sind, das ist wieder was anderes für mich. Dort kann ich mich auch viel freier bewegen als wenn ich z.B. irgendwo eingeladen bin und das Gefühl habe, alle starren mich an. Dann rede ich auch nicht mit anderen. Und Gespräche anfangen bin ich nicht so gut drin.

Während im Sommer die Schwimmbäder voll sind, findet man mich meist mit einem Buch und einem kühlen Getränk irgendwo allein unter Bäumen im Park.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Whitby Cat hat geschrieben:
30. Juli 2019, 23:53
Danke für das Eröffnen dieses Threads, connam.

Hast Du Dich schon einmal mit Hochbegabung beschäftigt?
All die "Symptome", die Du beschreibst, sind nämlich auch oft ein Anzeichen für Hochbegabung: Das "Sich-wie-ein-Alien"-Fühlen, das Empfinden daß Small Talk eher anstrengt als entspannt, daß man sich in seiner eigenen Gesellschaft wohler fühlt als unter (den falschen) Mitmenschen usw.

Jedem, der so oder ähnlich empfindet, empfehle ich das Buch "Jenseits der Norm - hochbegabt und hochsensibel?" von Andrea Brackmann.
Ja, ich denke, sobald man anfängt, sich mit dem Thema Introversion auseinanderzusetzen, stolpert man automatisch zumindest über den Begriff "Hochsensibilität", denn zwischen beiden gibt es eine hohe Übereinstimmung. Meiner Recherche nach wurde der Begriff "hochsensibel" kreiert, weil die ursprüngliche Bedeutung von Introversion verloren gegangen war. Er wurde 1997 von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron etabliert.

Wikipedia: Hochsensibilität (deutsche Terminologie uneinheitlich; auch: Hochsensitivität, zuweilen auch missverständlich: Hypersensibilität oder Überempfindlichkeit) bezeichnet ein psychologisches und neurophysiologisches Phänomen. Betroffene nehmen Sinnesreize viel eingehender wahr, verarbeiten diese tiefer und reagieren auch dementsprechend stärker darauf als der Bevölkerungsdurchschnitt. Bisher gibt es jedoch keine eindeutige und allgemein anerkannte neurowissenschaftliche Definition des Phänomens Hochsensibilität, da die wissenschaftliche Forschung dazu (High-Sensitivity-Forschung) noch ganz am Anfang steht.

Auch wenn ich ganz klar der Definition von hochsensibel entspreche, benutze ich doch lieber weiterhin den Ausdruck Introversion, weil ich glaube, dass sie die Art und Weise bestimmt, wie ich Reize verarbeite. Hochsensibilität ist für mich also mehr ein Symptom als ein eigenständiges Phänomen. Aber egal, aus welcher Perspektive man es betrachtet: ich gebe Dir absolut Recht, dass es lohnenswert ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Azur hat geschrieben:
10. August 2019, 14:43
Ich bin zumindest zum Teil introvertiert, denke ich.

Den MBTI-Test habe ich vor Jahren mal gemacht. Ich galt als "Architekt" und konnte mich in dem Text, der dazu stand, wieder erkennen.
Ein INTJ also. Dass Du so gern auf alles vorbereitet bist, ist ja dann nicht verwunderlich :D.
Ich finde, das I ("tiefe Einsichten") und das N ("Muster erkennen") verstärken das J sogar noch, weil man sehr leicht mögliche Konsequenzen bestimmter Handlungen erkennt. Man kann sehen, was alles passieren könnte. Das kann sehr anstrengend sein und einem oft die Leichtigkeit nehmen, die andere Leute empfinden, wenn sie in Urlaub fahren oder Ausflüge unternehmen. Andererseits sind wir diejenigen, die das Pflaster oder die Creme gegen Mückenstiche aus dem Hut (bzw. der Handtasche) zaubern können, wenn sie gebraucht werden ;).
Hat Dir die Erkenntnis, die Du aus dem Begleittext gewonnen hast, denn im Alltag weitergeholfen?
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Azur »

connam hat geschrieben:
10. August 2019, 19:06

Hat Dir die Erkenntnis, die Du aus dem Begleittext gewonnen hast, denn im Alltag weitergeholfen?
Teilweise.

Ich habe psychologische Hilfe in Anspruch genommen, nachdem ich viele, viele Jahre Mobbingattacken ausgesetzt war in der Schule. Und das ging weit über "Sticheln" hinaus. Das hat mich wohl letztlich auch zu dem, was ich jetzt bin, beigetragen, auch, weil ich damals nicht drüber reden konnte. Meine Umgebung war sehr...sagen wir es so, Probleme blieben im kleinsten Kreis. Man sprach nicht drüber.

Ich arbeite daran, mich mehr zu öffnen, aber allein zu sein bedeutet immer noch für mich, nicht verletzt zu werden, auch wenn ich manchmal die Wände hochgehe. Ich bin fest entschlossen, nach meinem Umzug noch einen Schritt weiter zu gehen: vielleicht was politisches oder bei der Tafel aushelfen oder so. Vielleicht finde ich einen Buchkreis.

Der Hang zur Perfektion und die Fähigkeit, Wissen aufzusaugen, sind meine Stärken geworden. Ich kann planen wie kein anderer in der Familie und meine Pläne gehen immer auf. Ich habe ein photographisches Gedächtnis und kann Bücher, für die andere eine Woche brauchen, in zwei Tagen lesen.

Ich hinterfrage und durchleuchte viel. Bei uns im REWE sitzt jeden Morgen ein "Nazi-Opa" (Entschuldigung). Der Junge ist frustriert von seinem Leben, rechtsradikal bis zum Abwinken und fängt mit jedem eine politische Diskussion an. Bei mir hat er es einmal getan. Seitdem guckt er mich nicht mehr an, nachdem ich ihn mit einer Kombination aus Zynismus und Wissen in Grund und Boden diskutiert habe, ohne ausfallend zu werden wie er. :headbang:
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Introvert-Hangover

Ein Introvert-Hangover (ich bleibe beim englischen Begriff, weil es sehr schwierig ist, ihn sinnvoll ins Deutsche zu übersetzen) ist eine Art Kater, den man empfindet, nachdem man etwas mit anderen Menschen unternommen hat. Das kann eine größere Veranstaltung wie ein Konzert oder eine Party sein, manchmal reicht aber auch schon ein Abendessen mit Freunden, um sich am nächsten Tag völlig ausgelaugt zu fühlen. Teilweise spürt man das sogar noch am selben Abend während des Events. Und man muss dazu noch nicht mal Alkohol getrunken haben.

Die Gründe sind eigentlich klar. Das, was Extravertierte stimuliert, erschöpft viele Introvertierte. Starke Reize wie laute Musik oder grelles Licht und/oder viele und vor allem fremde Menschen führen zu einer Überstimulation, die sich in diversen Symptomen äußert.

Hier sind 10 davon:

1. Die Nerven liegen blank. Selbst Kleinigkeiten wie ein verlegter Schlüssel oder eine scherzhafte Bemerkung von jemandem können einen zur Verzweiflung treiben, so dass man völlig überreagiert und auch ganz schnell mal in Tränen ausbricht.
2. Man kann sich nicht entscheiden. Selbst bei Kleinigkeiten, bei denen man sonst problemlos eine Wahl treffen kann, ist man völlig überfordert und der Kopf ist leer. Keine Ahnung, ob ich lieber Marmelade oder Schokocreme auf dem Brötchen will. Will ich überhaupt was essen? Am schlimmsten ist es, wenn jemand anderer mich fragt. Dann erntet er/sie oft wirklich nur einen leeren Blick und ich bin noch nicht mal in der Lage, zu artikulieren, dass ich einfach nicht weiß, was ich will.
3. Man kann nicht klar denken. Das Gehirn scheint durch einen Wattebausch ersetzt worden zu sein, und Denken funktioniert nur in Zeitlupe.
4. Man kann sich nicht klar ausdrücken. Selbst wenn das Gehirn einigermaßen funktioniert, kommt aus dem Mund nicht das raus, was man eigentlich sagen wollte.
5. Man fühlt sich körperlich schlecht. Socialising kann tatsächlich zu Kopfschmerzen, Muskelschmerzen oder Übelkeit führen.
6. Müdigkeit und Erschöpfung. Dazu muss ich wohl nichts weiter sagen.
7. Konzentrationsprobleme. Man kann sich nicht auf ein Gespräch fokussieren oder einen Text, den man gerade liest. Manchmal ertappt man sich auch bei völlig themenfremden Gedanken, die eher mit den Geheimnissen des Universums zu tun haben als mit dem, was gerade um einen herum passiert.
8. Man fühlt sich ängstlich und/oder deprimiert und/oder nicht wie man selbst. Oft geht man den Abend nochmal gedanklich durch und überlegt sich, ob man nicht zu viel von sich preisgegeben oder sich schlimmstenfalls sogar blamiert hat. Nicht selten zweifelt man an sich selbst oder ist plötzlich unsicher unter Menschen, in deren Gegenwart man sich sonst wohlfühlt.
9. Smalltalk geht gar nicht mehr. Dafür ist keine Energie mehr übrig.
10. Man will nur noch allein sein. Wie verlockend ist der Gedanke, sich auf dem Sofa zusammenzurollen und für eine Weile niemanden zu hören und zu sehen.


Quelle: https://introvertdear.com/news/introver ... ver-signs/

Meiner Erfahrung nach können all diese Symptome auch auftreten, ohne dass man am Abend vorher aus war. Allerdings treten sie gehäuft auf, wenn man einen "introvert hangover" hat.

Ich kenne sie fast alle, vor allem 1, 2, 6 und 8. Wie oft hab' ich mich schon gefragt, ob ich an einer bestimmten Stelle des Gesprächs nicht besser den Mund gehalten hätte, auch wenn erfahrungsgemäß keiner der anderen, die dabei waren, meine Bedenken teilt.

Wie steht's mit Euch?
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von Mr.Picard »

Ich gehe erst gar nicht irgendwohin, wo Menschen sind. Außer ich muss, und selbst dann bleibe ich nur das absolute Minimum an Zeit, da ich es einfach nicht mag, unter Menschen zu sein. Mir reicht das Zur-Arbeit-Gehen, das verlangt mir alles ab, was ich an Small-Talk-Energie habe - wir haben leider keine eigenen Büros. Ich bin so froh, dass ich nur Teilzeit arbeite - 8 Stunden, 5 Tage die Woche würde ich das absolut nicht aushalten.
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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von V'Reni »

Vorab möchte ich mich mal bedanken bei allen, die hier gepostet haben und so offen über sich sprechen. Das finde ich richtig toll. Und ich kann von allen hier ein bisschen was in mir sehen. Und nachdem ich hier schreiben kann und nicht reden muss, will ich auch mal... :lol:

Bei mir ist es nicht so heftig, wie aus manchen Postings zu erlesen ist, allerdings habe auch ich eine ganze Menge Dinge, die für mich absolut mühsam und nach Möglichkeit zu vermeiden sind...

*) Irgendwohin zu müssen, wo man nur von fremden Menschen umgeben ist und mit denen interagieren zu müssen (z.B. zu einem Seminar gehen, wo man gar keinen kennt und dort dann vor den Menschen reden zu müssen oder noch schlimmer: Gruppenarbeit!). Die Menschen selbst, wenn ich mit denen nix tun muss, stören ja nicht ganz so.

*) Telefonieren! Es gibt 3 Menschen, mit denen ich (bedingt) stundenlang reden kann: mein Freund, meine Mum und meine beste Freundin. Somit hat es sich. Irgendwo anders anrufen zu müssen ist einfach nur grausam. Das schiebe ich auf,
sage mir 20 Minuten vor, was ich sagen werde, greife zum Hörer, lege wieder auf, mache was anderes dazwischen, versuche nochmal zu wählen, wische mir die Schwitzhände ab, gehe nochmal durch was ich sagen werde... Ja, ein Hoch auf den Erfinder von Email!!! Und manchmal will ich einfach gar nicht reden - da ist selbst ein Anruf bei meiner Mum, ob alles ok ist, eine groooße Überwindung...

*) Im Supermarkt nach etwas zu fragen oder beim Autofahren den Weg erfagen. Da such ich lieber zwei Stunden als 2 Minuten mit jemandem zu reden.

*) Wenn ich zu meiner besten Freundin fahre (ca. 1-2 Mal im Monat) und mich auf einen gemütlichen Nachmittag einstelle und ich dann ankomme und sie sagt: "Ah ja, der X und die Y kommen später dann auch noch. Hab ich ganz vergessen Dir zu sagen!". Das kann dann sogar darin enden, dass ich früher heimfahre um das zu vermeiden.

Das sind nur ein paar Sachen, wo ich mich absolut unwohl fühle. In unterschiedlichen Abstufungen - eigentlich je nach Tagesverfassung.

Wenn ich zum Beispiel mit lauter Leuten bin, die ich kenne, ist es nicht (so) schlimm. Trotzdem - je weniger, desto besser. Zwei, drei Freunde - kein Problem. Aber selbst wenn es lauter Leute sind die ich kenne und es zu viele sind (Bürobesprechung, Weihnachtsfeier von unserem Club, etc.) versuche ich so wenig wie möglich aufzufallen. Das war schon in der Schule beim Halten von Referaten so. Wenn man da steht, eh unsicher ist ob man alles richtig macht und noch weiß, wovon man sprechen will und dann starren einen 50 bis 60 Augen an. Furchtbar.

Ganz schlimm - als Letze ankommen, wo einen schon alle anschauen wenn man reingeht. Uah! Oder eben wo reingehen, wo man mit vielen (vorwiegend fremden) Leuten zusammentrifft. Ich warte dann meistens vor dem Lokal, bis jemand von "meinen" Leuten kommt und hänge mich dann an, um nicht alleine reingehen zu müssen.

Beim Lift im Büro schaue ich auch meistens, dass niemand drinnen ist bzw. gehe ganz langsam hin, wenn schon jemand dort wartet in der Hoffnung, ich kann den nächsten Lift alleine nehmen. Das liegt aber wahrscheinlich auch an meiner Klaustrophobie, je mehr Platz für mich, desto besser.

Vielleicht hängen viele Dinge damit zusammen. Menschen im Lift, Menschen beim Einkaufen, Gedränge bei Veranstaltungen... brauch ich alles so überhaupt nicht. Auch ein Grund warum ich - bis auf wenige Ausnahmen, wenn es sich nicht vermeiden lässt - nicht öffentlich sondern mit dem Auto fahre. Das ist mein Bereich. Der gehört mir allein. Da entscheide ich, wer rein darf und wer nicht. Nicht wie in der Straßenbahn oder U-Bahn, wo sich jeder so auf einen draufklebt. Bah.

Auch sitze ich immer außen. Irgendwo in der Mitte, wenn man nicht weg kann, das geht gar nicht.

Mein Freund ist da so komplett anders. Der quatscht mit jedem (gestern waren beim Heimkommen am Abend vor unserem Haus die Kanalarbeiter, die gerade in den Kanal hinuntergestiegen sind - er gleich hin und hat sich alles erklären lassen), ruft lieber an als zu schreiben, hat auf Grund seines Jobs keine Berührungsängste mit Kamera und Mikrofon,...

Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich entweder alleine oder mit meinem Freund in der Natur unterwegs bin und uns keine anderen Personen begegnen.
Oder eben daheim, wenn ich meine Dinge machen kann und nicht mit anderen kommunizieren muss.

Es ist ja nicht so, dass ich es nicht könnte. Aber ich will einfach nicht. Weil ich da aus meiner Komfortzone rauskommen muss. Und wenn ich es vermeiden kann, dann tu ich das. Aber wenn ich muss - z.B. wenn ich mit meiner Mum unterwegs bin (wie wir z.B. noch gemeinsam auf der FedCon waren), dann muss ich die Führung übernehmen, dann muss ich mich um Dinge kümmern und wenn was zu klären ist, dann muss ich mit den Menschen reden. Aber angenehm find ich das bei Weitem nicht.

Mühsam ist auch, dass einem die Menschen rundherum immer sagen, man soll sich nicht so anstellen! Das verstehen viele halt leider nicht, dass man "sich nicht anstellt", sondern dass man "einfach so ist"!

Ich bin sehr froh, dass man hier im Forum so schön locker mit allen kommunizieren kann. Wenn man will, dann macht man das, wenn man grade keine Lust hat, muss man nicht.
Shran: Stoppen Sie den Scan. Bringen Sie uns aus dem System – aber nicht allzu schnell…
Das andorianische Bergbaukonsortium rennt vor niemandem davon!

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Re: Stille Wasser sind tief [Thema Introversion]

Beitrag von connam »

Herrlich, V'Reni, vielen Dank für Deinen Beitrag!!
Ich kann JEDEN Deiner genannten Punkte unterschreiben. Aber auch wirklich jeden. Und ich würd' auch gern jeden einzelnen nach und nach kommentieren :D, auch weil ich selbst an einige auf Anhieb gar nicht gedacht hätte (zum Beispiel das mit dem Warten vor'm Restaurant).

V'Reni hat geschrieben:
4. Oktober 2019, 08:06

*) Wenn ich zu meiner besten Freundin fahre (ca. 1-2 Mal im Monat) und mich auf einen gemütlichen Nachmittag einstelle und ich dann ankomme und sie sagt: "Ah ja, der X und die Y kommen später dann auch noch. Hab ich ganz vergessen Dir zu sagen!". Das kann dann sogar darin enden, dass ich früher heimfahre um das zu vermeiden.
Ja, das kenne ich auch. Man denkt, man weiß, worauf man sich einlässt, und dann kommt's doch anders. Damit kann ich auch nicht gut umgehen.
Ich muss vorher möglichst auch die Location kennen, wenn ich mich mit jemandem verabrede. Es gibt eine kleine Gruppe von Mädels, die ich einigermaßen regelmäßig sehe, und denen es ziemlich egal ist, wo wir uns treffen. Ich bin dann immer froh, wenn ich bestimmen kann, wohin es geht. Das erleichtert mir die Sache ungemein. Kurzfristige Änderungen kann ich in dieser Hinsicht gar nicht leiden.
Klingt unflexibel? Ist es auch :D.
Aber so what. Bisher hat sich noch keiner beschwert. Im letzten Café, das ich ausgesucht hatte, haben wir fast 6 h gesessen und geklönt :). So schlecht kann meine Wahl also nicht gewesen sein.
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